Der Wert des langen Atems
19.05.2025
Für nachhaltige Erfolge setzt das Team der Arche in Hamburg-Billstedt gleichermaßen auf ein gutes Verhältnis zu Kindern wie auf verlässliche Beziehungen zu deren Eltern.
Die Arche in Hamburg-Billstedt ist die zweite Arche, die in Hamburg entstand. Wir entschlossen uns 2016 dazu, nachdem mit der dreijährigen Yagmur zum wiederholten Male ein Kind im Stadtteil zu Tode kam. Yagmur war von ihren Eltern so stark misshandelt worden, dass sie daran starb. Das machte uns deutlich, dass Menschen im Kiez fehlten, die genau hinschauten. Dass es dringend eine Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche brauchte, wo Geborgenheit, praktische Hilfe und individuelle Förderung vermittelt und ermöglicht werden könnten.
Wir hatten damals Kontakt zu einer Grundschule sowie einer benachbarten Kirchengemeinde, die uns Räume zur Verfügung stellte. Wir mussten Spender gewinnen und ein starkes Team zusammenstellen. Dann ging es los. Schon ganz zu Anfang kamen täglich zwischen 30 und 70 Kinder zu uns. Sie erhielten eine kostenfreie Mahlzeit, außerschulische Lernförderung und konnten sinnvolle Freizeitangebote nutzen. Übers Jahr erreichten wir damals rund 250 Kinder.
Seitdem wuchsen Bandbreite und Pensum unserer Arbeit ständig. Beispielsweise kam ein Jugendangebot dazu, in dessen Rahmen wir 13- bis 18-Jährige bis zu ihrem Schulabschluss begleiten und berufliche Perspektiven eröffnen. Rund 70 Teenager kommen aktuell in die Jugendarche, nicht zuletzt, weil zwei Jugendeinrichtungen im Stadtteil vor drei Jahren geschlossen wurden. Jährlich schicken wir 15 Billstedter Teens auf ein Lerncamp, das sie auf den Schulabschluss vorbereitet. Genauso viele nehmen an unserer Jugendleiterschulung teil, die sie für ein ehrenamtliches Engagement fit macht.
Ebenso wichtig sind für uns Angebote im Bereich der Elternarbeit. Mit der „Kirche ohne Turm“, unserer Partner-Kirchengemeinde, haben wir ein Elterncafé inklusive Beratungsmöglichkeiten installiert. Außerdem organisieren wir Familienausflüge. Im letzten Jahr konnten wir erstmals ein Familiencamp mit Eltern und Kindern gemeinsam auf der Arche Kinder-Ranch durchführen. Uns ist es wichtig, die Eltern zu erreichen, denn nur so kann sich auch zu Hause für die Kinder etwas verändern. Verlässliche Beziehungen zu Kindern und Eltern sind ein Schlüssel unserer Arbeit.
Es gelang uns außerdem, unser Engagement im Stadtteil auszubauen. In der Stadtteilschule Öjendorf richten wir ein Oase-Pausen-Angebot, ein Mädchencafé und einen Kochworkshop aus. In einer weiteren Partnerschule „An der Glinder Au“ bieten wir Neigungskurse und einen „Lernort“ an. Darüber hinaus ist das Billstedter Team in den Geflüchtetenunterkünften „Mattkamp“ und „Berzelliusstraße“ mit Kindertreffs aktiv. Letztere liegt in einem Industriegebiet ohne Nachbarn. Dort ist es für die Kids besonders schwer, Anschluss zu finden.
Erfolgsgeschichten wie die von Natascha (Name geändert) krönen im besten Fall unsere Arbeit, ermutigen uns, weiterzumachen. Natascha kam in der zweiten Klasse in die Arche, sie hatte Schwierigkeiten in der Schule. Wegen ihrer Hautfarbe wurde sie in der Schule regelmäßig gemobbt. Sie hatte zwei jüngere Geschwister, die Eltern hingen meist in schlecht bezahlten Jobs fest. Zu Hause trug Natascha bereits große Verantwortung. Sie selbst aber kam zu kurz. Über Jahre hinweg stärkten wir ihr den Rücken, unterstützten sie insbesondere in unserem Hausaufgabenbereich. Zu einer unserer Mitarbeiterinnen hatte Natascha einen besonders engen Bezug und genoss ihre Aufmerksamkeit.
Natascha brauchte eine Stärkung ihres Selbstbewusstseins. Sie besaß eine tolle Stimme und wir förderten sie mit Gesangsunterricht in der Arche. Irgendwann traute sie sich auf die Bühne. Sie fing an, den Jüngeren zu helfen. Heute studiert sie ein Lehramt und hat bereits eigene Songs produziert. Natascha sagt, dass sie ohne den kontinuierlichen Halt der Arche nicht so weit gekommen wäre. Genau hier zeigen sich Wirkung und Wert einer langfristigen Begleitung.
Tobias Lucht
Regionalleitung Arche Hamburg
(Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Nr. 74 der Arche-News)