Volle Kraft voraus
12.09.2025
Arche-Gründer Bernd Siggelkow erlebte selbst als Kind, wie es ist, in Armut und ohne Liebe aufzuwachsen, auf sich selbst gestellt zu sein und nicht gesehen zu werden. Was für andere normal war, wie in die Ferien zu fahren, schien für ihn nahezu unerreichbar. Doch es war für ihn eben auch der Antrieb, vor 30 Jahren die Arche zu eröffnen, um Kindern in ähnlichen Situationen einen Ort der Perspektive, Wärme und Hoffnung zu bieten. Heute schreiben die Kinder der ersten Arche-Generationen ihre Geschichte selbständig fort, geben ihre Erfahrungen an andere weiter oder engagieren sich selbst.
Vor ein paar Wochen besuchte ich das Arche-Sommercamp und das Treffen mit den Kindern dort hatte mich sehr bewegt. Auf dem Weg nach Hause schossen mir viele Gedanken durch den Kopf. Ich fragte mich, wie viele der Kids wohl zum ersten Mal im Urlaub waren. Und dann fiel mir ein, dass ich als Kind selbst auch nur ein einziges Mal in den Ferien war.
Die Schwester meiner Oma, die leider nicht lange lebte, schenkte meinem Bruder und mir immer mal wieder Eintrittskarten für den Zirkus oder den Tierpark. Sie starb, als ich vielleicht neun Jahre alt war. Vorher füllte sie ein Sparschwein für mich. Darin waren 70 oder 80 Mark. Ich war so stolz, als armes Kind etwas zu besitzen, was ich vielleicht mal, wenn ich größer bin, nutzen könnte.
Einige Monate später sagte mein alleinerziehender Vater, dass er mit meinem Bruder und mir mal ein Wochenende wegfahren wolle. Krass! So etwas kannten wir überhaupt nicht. Wir fuhren dann auf einen Zeltplatz, wo mein Vater angelte und uns auch dort die meiste Zeit allein ließ. Wir hatten zwar ein neues Zelt, das war schon ziemlich cool, aber mein Vater kam jeweils nur spät in der Nacht zu uns zurück – und in einer Nacht sogar gar nicht. Wir waren drei Tage dort.
Der Urlaub war einerseits von Angst geprägt, davon, dass wir immer allein waren, aber auch von der Freude, überhaupt mal etwas erlebt zu haben. Als wir nach Hause kamen, hatte ich einen fürchterlichen Sonnenbrand, weil ich an einem der Nachmittage die ganze Zeit auf meinen Vater an der Straße wartete, der aber erst am nächsten Morgen wiederkam.
Kaum zu Hause schmiss mein Vater das neue Zelt wieder weg. Es war unser erster und letzter Urlaub. Mein Sparschwein war leer, er hatte das Zelt davon gekauft, und ich hatte nun nichts mehr. Nur die Erinnerung an einen Urlaub, der eine Mischung aus Angst und Sonnenbrand war und eine Erfahrung, die ich keinem unserer Kinder wünsche. So wie leider auch der Rest meiner Kindheit.
Viele Jahre später gründete ich die Arche, um Kindern mehr Hoffnung zu geben, als ich sie in meiner Kindheit selbst hatte. Heute erleben wir bei uns glückliche Kinder, die in ihrem sozialen Umfeld sonst nur wenig zu lachen haben. Sie gehen oft auf Brennpunktschulen, doch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versuchen ihre Biografien positiv mitzugestalten. Immer mehr unserer Jugendlichen schaffen einen guten Schulabschluss, weil wir Zeit, Geduld und Liebe für sie haben und an sie glauben. Es ist nicht immer eine Frage des Geldes, sondern der Perspektive und Hoffnung, die unseren Kindern vermittelt werden muss.
Natürlich erleben wir auch Resignation, Gewalt und Hoffnungslosigkeit, und es braucht bei einigen der jungen Leute viel Zeit und Energie, um zu ihnen durchzudringen. Doch es gibt für uns keine hoffnungslosen Fälle. Die Arche ist mehr als ein Zuhause für unsere Kinder. Sie ist ein Fels in der Brandung, ein sicherer Ort der Wärme und Liebe. Wie sehr hätte ich mir als Kind solch ein „Zuhause“ gewünscht. Aber heute bin ich dankbar, dass tausende Kinder hier in der Arche Hoffnung schöpfen dürfen.
Jesus hat einmal gesagt: „Das, was ihr den Schwächsten Gutes getan habt, das habt ihr für mich getan.“ Wir alle brauchen Liebe, gute Beziehungen, Werte, Motivation und vor allem Hoffnung. Genau das gibt die Arche seit 30 Jahren. Eine große Erfolgsgeschichte, auch wenn es nicht immer einfach war und ist. Auch wir haben unsere Herausforderungen. Denn wir brauchen immer wieder motivierte Mitarbeitende, Spenden und jede Menge Unterstützung.
Natürlich merken wir auch, dass die Zeiten härter werden, die wirtschaftliche Situation angespannt und unser Erfolg, der Misserfolg unserer Gesellschaft ist. Umso dankbarer sind wir Ihnen, die unsere Arbeit und vor allem die Kinder unterstützen. Die vielen Ehrenamtlichen, die Sponsoren, unsere Mitarbeitenden und diejenigen, die uns Mut machen, nicht aufzuhören und auch die nächsten 30 Jahre in eine Generation zu investieren, die mehr als nur politische Rahmenbedingungen braucht.
Pastor Bernd Siggelkow
Gründer und Leiter der Arche
(Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Nr. 76 der Arche-News)