"Wir könnten nicht stolzer sein"

05.05.2025

Wenn der Anruf einer „Ehemaligen“ eingeht, die heute studiert und Arche-Jugendliche dabei unterstützen möchte, ebenfalls ein Studium zu beginnen – dann weiß man,dass man etwas richtig gemacht hat.

Als wir im März 2011 die Arche in der Frankfurter Nordweststadt eröffneten, bevölkerten vom ersten Tag an weit über 120 Kinder regelmäßig unsere Räumlichkeiten. Der Bedarf war offensichtlich immens. Freunde, Klassenkameradenoder jüngere Geschwister der ersten Besucher sorgten für einen schnellen Zuwachs. Und es dauerte nicht lange, da wurden die ersten Kids zu Teenagern, die ganz eigene Bedürfnisse hatten. Uns wurde klar, dass wir mehr Platz brauchen würden, um allen Altersgruppen gerecht werden zu können. Das Anmieten weiterer Räume ließ sich jedoch nicht so schnell umsetzen. Wir mussten improvisieren, Hausaufgabenzeiten nach Alter staffeln, das Miteinander von Großen und Kleinen in Tobe- und Speiseraum gemeinsam üben.

In den ersten Jahren teilten wir unser Leben wie in einer großen Familie. Das Thema „Bildung“ kristallisierte sich als eines der wichtigsten heraus. Wir versuchten, so viel wie möglich persönliche Nachhilfe zu geben, was während der Coronapandemie noch einmal immens an Bedeutung gewann. Lockdown, Wechselunterricht und Homeschooling trotz eines Mangels an da für notwendiger digitaler Ausstattung forderten unsere Kinder und Jugendlichen enorm heraus. Viele versorgten wir erst einmal mit Laptops und anderen technischen Geräten, damit sie am Unterricht überhaupt teilnehmen konnten. Mitten in der schwierigen Corona-Zeit erreichten uns aber auch gute Nachrichten. Wir bekamen die Möglichkeit, weitere Räume anzumieten und zu Jugendräumen umzubauen. Endlich konnten wir altersspezifische Aktivitäten anbieten, zum Beispiel unser „Mutmacher-Projekt“ für Teenager und Workshops für jüngere Kinder. 

Als wir unsere Arbeit in der Nordweststadt starteten, konnten sich fast alle Kinder, die wir kennenlernten, als eigene Perspektive maximal einen Hauptschulabschluss vorstellen. Tatsächlich gab es kaum andere Vorbilder in der Nordweststadt. Spätestens nach der Hauptschule begannen die Älteren in diesem Umfeld, sich undurchsichtigen Machenschaften zu widmen, nahmen einen Hilfsjob an oder höchstens eine einfache Ausbildung auf. Uns gelang es in den vergangenen Jahren, dieses Muster stückchenweise aufzubrechen. Nicht zuletzt durch eine regelmäßige Essensversorgung und zahlreiche Gespräche verhalfen wir Jugendlichen zu mehr Stabilität und Selbstbewusstsein. Die ersten absolvierten bald Realschulabschlüsse, manch einer traute sich sogar die Fachoberschule zu. Inzwischen gibt es etliche ehemalige Arche-Kinder aus der Nordweststadt, die sich in Ausbildungen und sogar im Studium an verschiedenen Universitäten befinden. Was uns besonders freut, ist die Bandbreite der von ihnen angestrebten Berufsfelder. Von Politikwissenschaften über Betriebswirtschaft, Radiologieassistenz, Energieelektroniker, Chemikant bis hin zur Altenpflege und Physiotherapie ist alles dabei. Viele junge Leute, die einst zu uns kamen, stehen schon im Beruf, meistern selbständig ihr Leben und erste gründen kleine Familien.

Aber nicht nur das. Es gibt auch jene, die bewusst etwas zurückgeben möchten. Vor kurzem meldete sich eine junge Frau bei mir, die gerade an einer Berliner Universität studiert und sich ihr Studium über ein Stipendium finanziert. Sie fragte, ob wir nicht junge Leute kennen würden, die gern studieren wollten. Gern würde sie ihnen bei der Antragstellung helfen. Sie wusste aus eigener Erfahrung, wie schwierig sich diese gestalten kann. Stolzer als auf solche jungen Erwachsenen kann man kaum sein. Sie gehen nicht nur ihren eigenen Weg. Sie fangen an, anderen den ihrigen zu ebnen und der Gesellschaft etwas zurückzugeben. So etwas motiviert uns immer wieder, nach Potenzialen und Talenten Ausschau zu halten, sie zu unterstützen und treu und gewissenhaft in ihre Zukunft zu begleiten.

Julia Hildebrandt

Standortleitung Arche Frankfurt-Nordweststadt

(Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Nr. 74 der Arche-News)

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